KIRCHENSPLITTER
GUTMENSCHEN
Heutzutage wird wohl niemand gerne als Gutmensch bezeichnet. Die Bezeichnung kam in den 90er Jahren auf und feiert als ironische und sarkastische Verunglimpfung von vermeintlich überkorrekten und besserwisserischen Andersdenkenden gerade während den Flüchtlings- und Klimadebatten Hochkonjunktur. Ja, vor einigen Jahren wurde Gutmensch gar zum Unwort des Jahres gekürt.
Und doch faszinieren mich die Gutmenschen des Alltags, Mitmenschen, welche im Kleinen Gutes tun. Einfach so. Von Herzen. Nicht aus irgendwelchen ideologischen oder politischen Beweggründen. Gutmenschen wie die deutsche Kassiererin an der Aldi-Kasse: "So mein Lieber, wie geht es dir den heute?" sprach sie mich an und überforderte mich mit ihrer Direktheit. "Also meinen sie die Frage jetzt ernst oder ist das nur so eine Floskel?" stammelte ich zurück. "Nein, es interessiert mich wirklich!", antwortete sie strahlend. Ganz perplex, aber irgendwie auch beschenkt verliess ich den Laden. Ein paar Tage später finde ich in meinem Briefkasten zwei Tickets für das FCL-Spiel am nächsten Tag, welche ein Freund dort für mich hinterlegt hatte. Einfach so, weil er dachte, dass ich Freude daran hätte. Eine Person aus unserer Gemeinde bringt mir von Auslandreisen immer wieder Lakritz Spezialitäten mit. Seit Jahren. Einfach so, weil sie weiss, dass ich die schwarze Köstlichkeit liebe.
Diese kleinen, unerwarteten Zeichen der Anteilnahme und Nächstenliebe machen in meinem Leben einen grossen Unterschied. Es sind kostbare Lichtblicke, gerade in Zeiten, in denen ich mit dem Leben ringe und das Gefühl habe, allein zu sein. Ich bin enorm dankbar für die Gutmenschen in meinem Leben, und sie inspirieren mich. Ein paar Tage nach der Begegnung mit der Kassiererin fand mein Sohn in einem abgelegenen Bergsee ein neues Smartphone. Mit Eifer versuchten wir herauszufinden, wem es gehören könnte. Gar nicht so einfach, wie sich herausstellte. Als wir dem Besitzer dann die frohe Kunde überbringen konnten, war dieser mindestens so perplex wie ich ein paar Tage zuvor an der Aldi-Kasse.
Vielleicht wäre es an der Zeit, die Bezeichnung Gutmensch zu rehabilitieren bzw. ihr eine neue Bedeutung zu geben. "Ich habe Lust euch Gutes zu tun, es bereitet mir Freude..." sagte Gott zu Jeremia, und so erlebe ihn noch heute: Als Gutgott, der es gut mit seinen Geschöpfen meint. Liegt es da nicht auf der Hand, dass wir als Christinnen und Christen versuchen, ihm nachzueifern? Nicht arrogant und besserwisserisch, sondern demütig und grossherzig!
Autor: Jonas Oesch, Pfarrer | Datum: 25.05.2023