KIRCHENSPLITTER
Aussen fix, innen...?
Vor ein paar Wochen springt mein Sohn beim Morgenessen zum Fenster und ruft mit grossen Augen: "Schaut, da fliegt ein Baum durch die Luft!" Und tatsächlich sieht es auf den ersten Blick so aus. Erst beim genaueren hinschauen bemerke ich den mobilen Kran, welcher den grossen Baum sicher durch die Luft navigiert. Etwas später schaue ich mir die Arbeiten aus der Nähe an und komme mit dem Waldarbeiter ins Gespräch. "Warum fällt ihr diese wunderschönen Bäume, die sehen doch gesund aus?" frage ich, doch die Erklärung folgt sogleich: "Da täuschst du dich. Die faulen von innen! Wenn wir die nicht kontrolliert entfernen, haut der Sturm sie um und richtet Schaden an."
Diese Bäume bringen mich ins Grübeln. Ja, das äussere Erscheinungsbild kann täuschen! Das ist nicht nur bei Bäumen so, sondern auch bei uns Menschen. Mir kommen Personen in den Sinn, welche von aussen zerbrechlich wirken, aber innerlich unheimlich stark und robust sind. Wenn z.B. Senioren mir ihre Lebensgeschichten erzählen, welche oft geprägt sind von heftigen Schicksalsschlägen, dann staune ich über deren Widerstandskraft. Auf der anderen Seite begegnen mir auch immer wieder Mitmenschen, welche alles daran setzen, gegen aussen stark zu wirken, die scheinbar immer alles im Griff haben. Aber dann ziehen Stürme auf - körperliche Beschwerden, Probleme am Arbeitsplatz, Beziehungsstürme, der Coronasturm - und die starke Fassade fällt, oftmals für alle überraschend und plötzlich.
Heutzutage sprechen viele Menschen offener über ihr Innenleben. Vielleicht eine Nachwirkung der Pandemie? Mental health - die mentale Gesundheit - ist zum Thema geworden und ich sehe diese Entwicklung als Chance. Es ist wichtig, dass wir uns nicht mit äusserlichem Smalltalk zufrieden geben, sondern mit Vertrauenspersonen regelmässig darüber austauschen, wie es "innerlich" um uns steht. "Wie geht es dir wirklich?" ist eine Frage, die wir uns gegenseitig öfters stellen sollten; sie kann viel bewirken!
"Ich bete, dass der Vater euch die Kraft gibt, innerlich stark zu werden," schreibt der Apostel Paulus an die Epheser und drückt damit aus, dass wahre, innere Stärke sich aus der Vertrau-ensbeziehung zum himmlischen Vater nährt und mit der Zeit heranwächst. Als Christinnen und Christen müssen wir einander nichts vorspielen - weder äussere, noch innere Stärke - und dieses ehrliche und transparente Miteinander ist befreiend und stärkend zugleich!
Autor: Jonas Oesch, Pfarrer | Datum: 28.01.2023